Chronik 2009

Dezember 2009
Zum Jahresausklang das traditionelle Highlight:

…Adventfeier wieder einmal anders

Oktober und November 2009
Ausstellung im Rahmen der Frauenzeit09

31. Oktober 2009
Vernissage zur Ausstellung im Rahmen der Frauenzeit09

Linz 2009  Kulturhauptstadt Europas
Unter dem Titel:  WEGZEIT - Kulturen des Pendelns war das Strindbergmuseum Saxen
mit der Route 3: „Pendeln am Strom der Zeit“ – Literarische Reise entlang der Romantikstrasse nach Grein von Mai bis August an Linz09 beteiligt.
WEGZEIT begab sich dabei auf die Pfade der PendlerInnen und machte Kultur
und Charakter der Mühlviertler erlebbar.


Walter Kohl
So leer, so öde!
Brief aus der Klam-Schlucht


„Auf dem feuchten, dunklen und unbequemen Wege dringe ich weiter und komme zu einem Holzgebäude“, rezitiert der Graf, ein abgegriffenes Buch in Händen, „dessen ungewöhnlicher Anblick mich stutzig macht. Es ist ein langer, niedriger Kasten mit sechs Ofentüren... Ofentüren! Ihr Götter, wo bin ich denn?


Das Bild der Danteschen Hölle, die rotglühenden Särge der Ketzer, steigt vor mir auf – und die sechs Ofentüren!! Ist es ein böser Traum? Nein gemeine Wirklichkeit; denn ein schrecklicher Gestank, ein Strom von Schmutz und ein Grunzchor belehrt mich alsbald, daß ich einen Schweinestall vor mir habe.“

Der Graf macht eine Pause, blickt hoch zur Schar der Wanderer, die sich im Halbkreis aufgestellt hat um den arg windschief stehenden Holzkoben mit den sechs Türchen, die tatsächlich aussehen wie lärchene Ofentüren, wie sie einen guten halben Meter über dem Boden in rostigen eisernen Angeln hängen. „Hier ist es gewesen“, sagt der Graf dann, „hier bin ich gestanden mit Thomas Bernhard.“


Der Graf ist Georg Clam-Martinic, er begleitet eine Wanderung von Kulturinteressierten durch die Klam-Schlucht nahe dem oberösterreichischen Saxen an einem der ersten halbwegs warmen Frühlingstage. Das Buch in seinen Händen ist eine zerlesene Ausgabe von August Strindbergs Roman „Inferno. Legenden“ von 1897. Der Schwede hatte im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts hier in Oberösterreich eine große Krise erlebt, in jeder Hinsicht, sein Schreiben betreffend, und auch seine Ehe mit der österreichischen Journalistin Frida Uhl. Letzten Endes hat er sich aus dieser Krise heraus geschrieben, der Roman „Inferno“ und das Drama „Nach Damaskus“ sind Zeugnisse dieser Kraftanstrengung.


Die Klam-Schlucht und die ihn meist bedrückenden und deprimierenden Orte an der Donau bei Grein und Saxen sind mehrfach im Werk des Autors das gegenständliche Korrelat für Strindbergs Krise. Im „Inferno“ hat er seine Abreise aus Saxen beschrieben, nach einem Gewitter, das einigen Schaden angerichtet hatte, was den schwedischen Schriftsteller zu esoterischen Spekulationen angeregt hatte: „Damals begann ich auf die Alchimisten den Argwohn zu werfen, daß sie mich wegen meines Goldes oder auch wegen meines Eigensinnes, ihren Gesellschaften alle Gefolgschaft zu verweigern, verdächtigten. In der germanischen Mythologie (...) hatte ich zudem erfahren, daß die Hexen in einem Gewitter oder einem kurzen, heftigen Windstoß zu erscheinen liebten. Ich erzähle dies hier zur Beleuchtung meines Seelenzustandes, wie er damals vor meiner Bekanntschaft mit Swedenborgs Lehren war.“


Wie selbstverständlich spricht Clam-Martinic von Literatur und Literaten. Bernhard sei mehrfach Gast auf der Burg der Familie gewesen, oben, am Ende der Schlucht, die heiße wie die Familie, Clam, während die Schreibweise Klam für den Ort nach der Revolution von 1848 von den Bürgern eingeführt wurde, um ein Zeichen zu setzen für die Befreiung von Feudalherrschaft. Auf dem schmalen Balkon vor dem halb öffentlichen Wohnzimmer der Burg, das bei Führungen für Touristen zugänglich ist, stehen die Raucher und blicken mit mildem Schaudern nach unten, Dutzende Meter geht es senkrecht hinab über Burggemäuer und Felswand. Unwillkürlich denkt man an Thomas Bernhards vorletztes Stück, Elisabeth II., mit all den Gräfinnen und Grafen Ergens und Neutz und Gudenus, wie sie auf einem Balkon das Vorbeifahren der britischen Königin herbei warten. Und denkt lieber nicht an das Ende des Stücks, hier in schwindelnder Höhe hoch über den Baumwipfeln.


Das Linzer Kulturhauptstadtjahr ist der Anlass für die Schluchtenwanderung. Die Wiener Künstlerin Claudia Weinzierl hat ein Projekt für Linz09 entwickelt, zu dem gerade der „Probelauf“ stattfindet. Um die Kultur des Pendelns geht es dabei und um die Wechselwirkungen zwischen Pendlern, Wanderern im weitesten Sinn, und der von ihnen bewanderten Gegend. Den ganzen Sommer über können Interessierte das Mühlviertel durchstreifen, per Bus und per Wanderschuh, können sich den Räumen von verschiedensten Zugängen aus annähern oder sich einfach nur Geschichten erzählen lassen und abendliche Kulturevents besuchen.

„Einmal bin ich mit Thomas Bernhard durch die Schlucht hinauf gewandert“, erzählt der Graf. Der große Autor habe hier, bei dem aufgelassenen Schweinekoben mit den sechs Türen, mit Blick auf eine Felsformation namens „Türkenkopf“, einen dramatischen Anfall von Atemnot erlitten, man verstehe warum. „Wenn ich jetzt sterbe“, soll Bernhard gejapst haben, „dann wird dieser Platz berühmt werden!“


Es ist so eine Sache mit dem Ruhm und mit der Selbstwahrnehmung von Berühmten. Der Ort mit den sechs Türen war schon berühmt, lange vor Bernhard, er hat seinen Platz in der Literaturgeschichte wegen Strindberg. Über seine Arbeit, die ihn berühmt gemacht hatte, fand Strindberg aber (im Roman „Das Kloster“, 1956 erstveröffentlicht) nur höchst verächtliche Worte: „Was für eine Beschäftigung: dasitzen, seinen Mitmenschen die Haut abziehen und ihnen die Häute dann anbieten, in der Hoffnung, daß sie sie kaufen (...) Herumlaufen und die Geheimnisse von Leuten ausspionieren, das Muttermal seines besten Freundes preisgeben, seine Ehefrau als Vivisektionskaninchen benutzen, hausen wie ein Kroate, niederhauen, schänden und brennen und verkaufen! Pfui Teufel!“


Claudia Weinzierl geht in einem Teil ihres Projekts von Strindberg aus und von der F